Uwe Siemon-Netto: "Der Atheismus ist so gut wie tot"

 

Bekannter lutherischer Journalist In Deutschland hält sich die Gottlosigkeit länger als andernorts

Er ist einer der bekanntesten lutherischen Journalisten in den USA und in Deutschland: der gebürtige Leipziger Uwe Siemon-Netto. Vor kurzem wurde ihm die Ehrendoktorwürde in Philosophie von der Theologischen Hochschule Concordia Seminary in St. Louis, einer traditionsreichen Ausbildungsstätte der lutherischen Missouri-Kirche in den USA, verliehen. Die 1839 von Deutschen gegründete Hochschule würdigte Siemon-Nettos herausragenden Dienst als Vermittler des Evangeliums Jesu Christi gegenüber der Kirche und der Welt. Siemon-Netto, der bereits in Theologie promoviert hat und für den Stern, Tagesspiegel, Die Welt usw. tätig war, arbeitet gegenwärtig als Kommentator für religiöse Fragen bei der US-Nachrichtenagentur UPI und als Korrespondent deutscher Medien, darunter der Rheinische Merkur und idea. Mit dem 67jährigen sprach idea aus Anlass der Verleihung der Ehrendoktorwürde.

idea: Sie pendeln als Fachjournalist für Religion ständig zwischen Amerika und Europa. Es heißt, Glaubensfragen rücken wieder in den Vordergrund. Stimmt das denn?

Siemon-Netto: Absolut! Alle Weltereignisse, die wir heute im Fernsehen und in der Presse verfolgen, haben starke religiöse Aspekte. Die Menschen ringen um die Wahrheit - oft mit fürchterlichen Mitteln, wie wir im Nahen Osten sehen. Aber dahinter steht auch immer die Sinnfrage. Der Atheismus ist so gut wie tot.

idea: Auch in Deutschland?

Siemon-Netto: Noch nicht. Ich glaube, wir Deutschen sind die Mecklenburger der Welt. Ich beziehe mich hier auf das Bismarck-Wort: Wenn ich wüsste, dass die Welt morgen unterginge, würde ich heute nach Mecklenburg ziehen, weil dort alles 50 Jahre später geschieht. Bei uns hält sich die Gottlosigkeit länger als andernorts, weil wir ja so fortschrittlich sein wollen. Aber das wirkt idiotisch aufgesetzt. Luther nannte die Deutschen Affen, weil sie anderen alles nachmachen. Wir werden auch in Glaubensdingen unseren Nachbarn und den Amerikanern folgen - und dann mit System; das ist die gute Kunde. Allerdings stimmt auch, was Aldous Huxley über uns gesagt hat: Wie erschreckend gründlich waren die Deutschen doch immer, wie emphatisch - im Sex wie im Krieg, in Lehre und in Wissenschaft. Sie tauchen tiefer als alle anderen und kommen schlammbesudelter wieder nach oben.

Amerikaner genieren sich nicht, von Gott zu reden

idea: Sollten die Deutschen sich die Amerikaner zum Vorbild nehmen?

Siemon-Netto: Amerikaner sind nicht die besseren Christen. Ihre Gottesvorstellung ist oft sehr postmodern - sie haben vielfach einen Kuschelgott, der sich menschlichen Gelüsten anpasst; folglich ändern sich ihre Werte ständig. Aber zumindest genieren sich die Amerikaner nicht, von Gott zu reden. Außerdem gibt es bei ihnen eine starke Bekenntnisbewegung, die sich an der Bekennenden Kirche im Deutschland unter der Nazi-Knute orientiert. Wir Deutsche sind meist noch zu verklemmt, es diesen Bekennern nachzumachen. Dabei merken wir nicht, dass Gottlosigkeit weltweit längst aus der Mode gekommen ist - wie Graffiti-Schmiererei oder die sexuelle Revolution mit ihren ekelhaften Massenaufmärschen von Halbnackten, Love Parades genannt.

idea: ... und die anderen Europäer?

Siemon-Netto: Da kommt viel in Bewegung. In der Kirche von England sind 70 Prozent aller neu ordinierten Pfarrer Evangelikale oder konservative Hochkirchler, und ihre Gottesdienste füllen sich. In Frankreich, dem am meisten entchristlichten Nachbarland, entwickelt die katholische Kirche einen beneidenswerten missionarischen Geist. Die protestantische Kirche, die früher links von sich selbst stand, wird immer bibeltreuer und liturgischer. Christliche Intellektuelle treten wieder mutig an die Öffentlichkeit. Konfessionsschulen werden immer beliebter. Der Priestermangel wird vielfach durch ein enormes Engagement der Laien kompensiert, zumal der Jugend.

idea: Sie sehen viel Gutes im Ausland, gehen aber mit Ihrer Kritik an Deutschland streng ins Gericht. Fühlen Sie sich eigentlich noch als Deutscher?

Siemon-Netto: Meine Kritik ist ein Ausdruck meiner großen Liebe zu Deutschland. Mein Deutschland ist jedoch das Deutschland Luthers, Paul Gerhardts, Bachs, Dietrich Bonhoeffers, auch das Deutschland Adenauers oder Hans Apels, das Deutschland des Wiederaufbaus der Frauenkirche in Dresden - und das Deutschland der vielen phantastischen Deutschen, denen ich in der ganzen Welt begegne, Menschen, die in der Fremde Fabelhaftes leisten. Aber jedes Mal, wenn ich in meine Heimat zurückkehre, zerfetzt mich ihr verluderter Zustand. Du kannst in keinem noch so guten Restaurant sitzen, ohne von einem Nachbartisch das Wort Scheiße zu hören, zumal aus Frauenmund. Nirgendwo wird so geschweinigelt wie bei uns, vor allem in Berlin; nirgendwo ist das Fernsehen so christenfeindlich, so widernatürlich schrill, nirgendwo sind Prediger so anfällig für den Zeitgeist wie bei uns. Kein anderes Volk verwirft sein religiöses und kulturelles Erbe so gründlich wie unseres. Und keines wirkt unglücklicher. Sechs Jahrzehnte nach Hitler ist Deutschland immer noch kein normales Land. Wenn Sie mich kritisch nennen, so ist das noch mild. Ich bin außer mir vor Entsetzen, und als Lutheraner mache ich aus meinem Herzen keine Mördergrube.

idea: Welche Folgen kann die derzeitige Seelenverfassung der Deutschen haben?

Siemon-Netto: Die Alternative einer christlichen Kultur ist ja nicht eine atheistische; das haben wir 1989 gesehen. Die Alternative ist der Islam, und der ist schon hier. Er wird sich rasant ausbreiten, wenn der Wahnsinnsplan verwirklicht wird, die Türkei in die Europäische Union aufzunehmen. Dann werden -zig Millionen Muslime bei uns einwandern und sich fleißig vermehren. Dann ist es endgültig vorbei mit unserer christlichen Kultur - vorbei wie im früheren Konstantinopel und heutigen Istanbul, wo nach dem 15. Jahrhundert eine blühende christliche Kirche ausradiert wurde. EU-Verfassung ohne Gott? Ein verbrecherischer Zustand!

idea: Was lässt sich dagegen unternehmen?

Siemon-Netto: Wir müssen uns auf die Schätze unseres Glaubens zurückbesinnen. Dann bestünden durch den Zustrom von Muslimen sogar gewaltige Chancen für die Evangelisierung - zumal unter muslimischen Frauen, die dafür vielfach sehr offen sind. Aber erst einmal müssen wir ihnen beweisen, dass wir unser Christentum ernst nehmen. Statt dessen lassen wir ja noch nicht einmal einen Hinweis auf unser christliches Erbe in der neuen EU-Verfassung zu - ein haarsträubender Zustand, den ich für verbrecherisch halte.

idea: Dennoch haben Sie Hoffnung?

Siemon-Netto: Natürlich! Das ist die gute Seite unseres Mecklenburgertums. Wenn in Amerika die bibeltreuen Flügel innerhalb der traditionellen Kirchen wachsen und die linken, feministisch-verschwulten Flügel schrumpfen; wenn in Afrika, Asien und Lateinamerika das Christentum explosionsartig wächst und bereits unsere Nachbarländer mit seinem Enthusiasmus ansteckt, dann werden auch wir eines Tages von dieser Welle erfasst werden. Wenn nicht, dann würde das allerdings bedeuten, dass Gott unserem Land tatsächlich den Rücken zuwendet und uns, die wir seine Wahrheit in Lüge verkehrt haben, dahingibt in schändliche Leidenschaften (Römer 1,26). Ich will das aber nicht glauben. Ich glaube, dass wir wieder zu Gott und zu uns selbst finden werden und dann der Welt die wichtigste Kunde für die Postmoderne mitzuteilen haben.


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